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Saget mir ieman, waz ist minne

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Als Herrscher im 12. Jahrhundert zunehmend von festen Regierungssitzen aus regieren und Residenzen bilden, wird auch der Hof zunehmend zum Ort höfischer Repräsentation und eine eigene höfische Kultur entsteht, für die der Minnesang eine große Rolle spielt. Eine der Wurzeln der deutschen Minnelyrik liegt in Frankreich, in der dort verbreiteten Lyrik der Trobadors und Trouvères.
Der Minnesang wird eine zentrale Unterhaltungsform für den höfischen Adel. Zahlreiche Motive werden in den Minneliedern immer wieder variierend aufgegriffen, religiöse Metaphorik und höfische Sitten können miteinander verbunden werden, und so sind die Vorträge am Hof ein zentraler Teil der Gemeinschaftsbildung und Selbstvergewisserung des Adels.

Der Dreh- und Angelpunkt der Lieder der hohen Minne ist die Minne des Sängers zu einer hohen Dame, die als unerreichbares Ideal inszeniert wird. Es erscheint also sehr unwahrscheinlich, dass der Sänger jemals mit ihr zusammen sein kann; meistens ist schon ein Blick der Dame das Höchste der Gefühle. Das lässt die Frage aufkommen, ob es überhaupt darum geht, mit der Dame wirklich körperlich verbunden zu sein.

Die Dame ist (in den Liedern der hohen Minne) meist in jeder Hinsicht perfekt: Sie beherrscht alle Tugenden, gehört dem Adel an und wirkt anmutig und bildschön. Motive der Marienverehrung werden immer wieder herangezogen, um die Dame in den Raum vollkommener Idealität zu erhöhen.

Im Rahmen unseres Projektseminars haben wir uns mit zentralen Motiven und Bildfeldern des Minnesangs auseinandergesetzt, etwa dem Blick der Dame, aber auch des Sängers, dem Herzen, der Tierbildlichkeit, der Verbindung von Liebe und Essen, der Frage nach Körperlichkeit und Frivolem sowie der Verbindung von Liebe und Tod. Dabei wurde deutlich, wie prägend kulturelle Vorstellungen, zum Beispiel die Vier-Säfte-Lehre, christliche Motive und antike Mythologien, für die Texte sein können und wie unterschiedliche Traditionen variierend zusammenkommen und je eine eigene Art des Sprechens über die Minne formen.

Eine zentrale Beobachtung ist, dass sich der Ritter durch die Verehrung der Dame selbst erhöht. Dass der Sänger oft sogar bereit ist, im Minnedienst für seine Dame bis in den Tod zu gehen, beweist seine ritterlichen Tugenden wie seine Beständigkeit (staete) und seine Treue (triuwe). Auch wenn er wahrscheinlich nie seine „Herzensdame“ erreichen wird, so kann er gesellschaftlichen Nutzen aus seinem Minnedienst ziehen und „Guthaben“ auf das Konto seiner Ehre aufladen. Gleichzeitig entwirft die Minnelyrik ein Frauenideal, in dem Schönheit und Tugenden Hand in Hand gehen. Geschlechterrollen und -hierarchien werden im literarischen Raum verhandelt; der Bezug zur außerliterarischen Realität ist kein eindeutiger.

Verbreitet wurden die Texte vor allem mündlich; unser heutiges Wissen von den Texten ist geprägt von drei Sammelhandschriften: der großen Heidelberger Liederhandschrift (auch Codex Manesse genannt), der kleinen Heidelberger Liederhandschrift und der Weingartner Liederhandschrift. Sind Lieder mehrmals überliefert, unterscheiden sich die einzelnen Überlieferungen in vielen Fällen voneinander – so können beispielsweise Strophenanzahl, -reihenfolge und Dichterzuschreibungen variieren. Die entsprechenden Melodien zu den Minneliedern sind nur vereinzelt überliefert.
Dies sind nur einige der Herausforderungen, vor denen die Germanistik heute steht, die sich mit diesen historischen Quellen und der mittelalterlichen Kultur beschäftigt und versucht, in die angeblich so dunkle Zeit des Mittelalters etwas Licht zu bringen.

Insgesamt kann man die Minnelyrik als eine vielfältige und variantenreiche Gattung beschreiben, die das Mittelalter im deutschen Raum stark geprägt hat. Auch heute kennen wir noch die romantische Idee des Sängers und der Dame in einem hohen Turm oder den Begriff „Turteltäubchen“. Diese Gattung hat nicht nur historische Bedeutung, sondern prägt unser Verständnis von (nicht erwiderter) Liebe bis heute. Nicht nur deswegen ist es lohnenswert, sich mit der Minnelyrik zu befassen – auch wenn wir Walther von der Vogelweide leider nicht mehr „Live in Concert“ erleben können.


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Wenn Sie mehr darüber erfahren wollen, schauen Sie mal hier: Herchert, Gaby: Einführung in den Minnesang. Darmstadt 2010 (Einführung Germanistik).

Saget mir ieman, waz ist minne